Es geht weiter mit dem dritten Teil der Geschichte und dem Untergang des Großhandelsunternehmens „Wollschläger“. Was können Großhandelsunternehmen daraus lernen? Wenn Sie Teil 2 noch nicht gelesen haben, dann klicken Sie hier.

Wenn ein Unternehmen wächst, werden Integration, Koordination und Rentabilität immer wichtiger, denn nur so können die Verkaufszahlen steigen – verkauft man jedoch mit Verlust, geht einem bald das Geld aus. Das schien für Wollschläger 2013 jedoch kein Problem zu sein.

Carsten Wollschläger, Sohn von Frank W., bezeichnete sein Familienunternehmen als „wirklich solide“. Und die vergangenen zwei Jahrzehnte schienen ihm Recht zu geben. Die Wollschläger-Gruppe ist 2013 im Ruhrgebiet und überregional ein angesehenes Unternehmen.

Ich hatte die Gelegenheit, mir fast alle Interviews anzusehen, die Vater und Sohn Wollschläger, über die Jahre bis 2016 gegeben haben. Interessanterweise beteuerten sie unzählige Male, die Wollschläger-Gruppe sei ein „solides“ Unternehmen. Solide, solide, solide. Wiederholung bedeutet nur Wiederholung, nicht Aufrichtigkeit oder Wahrhaftigkeit.

Unabhängig von der Echtheit oder den Zweifeln an der Behauptung hat Frank Wollschläger im Jahr 2013 ein „Dream-Team“ im Management eingesetzt. Er stellte Walter Göttinger als Head of E-Commerce Sales, Stephan Wild als Sales Director Europe, Patrick Saigal als Einkaufs- und Produktmanager und Siegfried Hakelberg als Geschäftsführer ein. Hakelberg, ein gelernter Maschinenbauingenieur, wurde zum nationalen Verkaufsleiter ernannt. War diese Position vorher nicht für Haberstock vorgesehen?

Die Wollschläger-Gruppe hatte ein hervorragendes Managementteam, einen ausgezeichneten Ruf als zuverlässiger internationaler Distributor und ein brandneues Logistikzentrum. Frank Wollschläger hat es in rund 30 Jahren von 25 Mitarbeitern auf fast 1.000 geschafft. Er wiederholte sein Mantra, ein „solides Familienunternehmen“ zu führen.

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Geld zu verlieren ist jedoch kein Zeichen von Solidität. Im Jahr 2014 hat Wollschläger laut Konzernabschluss 34 Millionen Euro verloren. Als ob die Verluste nicht schon schlimm genug wären, verließ Haberstock das Unternehmen noch im selben Jahr. Er ist nun CEO des führenden Industriegroßhändlers Perschmann Group. Siegfried Hakelberg verließ Wollschläger 2015, zwei Jahre nach seinem Einstieg ebenfalls, um Vertriebschef bei Mercateo zu werden.

Verluste, Verluste, Verluste. Nichts, was Frank gewohnt war.

2015 übergab der mittlerweile 68-jährige Frank Wollschläger seinen Posten an seinen Sohn Carsten und wechselte in den Vorstand.

Carsten Wollschläger, damals 37 Jahre alt, erklärte: „…ich möchte vor allem unseren Mitarbeitern noch bessere Möglichkeiten geben, sich einzubringen und kreative Ideen umzusetzen.“

Eine der Ideen, die diskutiert wurden, war die riesige Menge an ERP-Daten zu nutzen, um Cross-Selling- und Preismöglichkeiten zu entdecken. Zu dieser Zeit traf ich mich mit einigen Managern von Wollschläger, die nach einer Lösung suchten, wie wir sie bei Qymatix entwickelt hatten.

Wir starteten mit Vorgesprächen über die verfügbaren ERP-Daten von Wollschläger. „Wir haben das gleiche Unternehmen in verschiedenen ERP-Systemen unter verschiedenen Kunden-IDs registriert – wir können sie nicht immer abgleichen“, sagte uns ein IT-Direktor.

Mir war schnell klar, dass Frustration, mangelnde Entschlossenheit und echte Integrationsprobleme die Implementierung unserer (damals – 2015 – noch nicht fertigen) Software unmöglich machen würden. „Die Bedeutung von Data Mining in unserem ERP-System wird auf eigene Gefahr ignoriert“, erklärte ein Business Analyst. Uns war damals schon klar, dass der Einsatz unseres KI-basierten Vertriebsanalysetools unter diesen Bedingungen unmöglich sein würde. Aus diesem Grund erfolgte von unserer Seite aus auch kein Follow-Up mehr.

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Das Jahr 2016 begann für die Wollschläger Gruppe voller Zuversicht. Im Februar präsentierte die Hommel Gruppe, die zu Wollschläger gehört, ihr neues Corporate Design auf der METAV. Die METAV Düsseldorf war eine internationale Fachmesse für Metallbearbeitungstechnik. Das ausgewählte Produktprogramm der Wollschläger GmbH & Co. KG stand im Mittelpunkt der Messe-Highlights.

Zuversicht ist keine Realität. Manchmal ist es nur Hoffnung. Nach einem Winter voller Zuversicht folgte ein hoffnungsvoller Frühling. Obwohl Gerüchte über die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens kursierten, war Frank sehr optimistisch, was seine Liquidität anging.

Die Umstrukturierung mehrerer Konzerngesellschaften war im Gange, darunter die Verschmelzung der Erna Aretz GmbH & Co. Betriebs KG. Die Verschmelzung zweier Unternehmen ist wie das Schmelzen zweier Metalle: Es kann beide stärker machen, aber beide können ihre Unvollkommenheiten nicht verbergen. Frank Wollschläger war ein Experte im Schmelzen von Metallen.

Insolvenzen kommen selten überraschend. Als Geschäftsführer einer GmbH muss man in Deutschland mindestens für die nächsten 12 Monate einen klaren und plausiblen Liquiditätsplan haben. Diese „ständige Sorge“ findet sich in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Während des gesamten Frühjahrs dieses Jahres muss es im Unternehmen Hoffnung im Überfluss gegeben haben. Doch das Geld war knapp.

Juni, Juli und August 2016 waren in Deutschland mit durchschnittlich 17,8 °C wärmer als üblich – und trockener. In diesem Jahr fielen 9 Liter weniger Regen als in den Sommern zwischen 1961 und 1990, einem Zeitraum, der international zum Vergleich von Wetterdaten herangezogen wird. Trotz der Umstrukturierung arbeiteten immer noch 580 Mitarbeiter in der Unternehmenszentrale. An manchen heißen Tagen wurden die Klimaanlagen nicht eingeschaltet.

Der Sommer war heiß und ruhig, vielleicht zu ruhig. In dem neu eröffneten Logistikzentrum bewegte sich nichts. „Die Auslastung war nicht mehr so gut wie an unserem bisherigen Standort“, sagte ein Logistikmitarbeiter der WAZ. Es schien, als ob die jahrelange Vorfreude auf einen Schmelzpunkt zusteuern würde.

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Während dieser heißen Tage müssen immer wieder Gerüchte über eine bevorstehende Katastrophe im Umlauf gewesen sein. Einige waren unbegründet, andere waren wahr. Zunächst verließen die Leiharbeiter das Unternehmen. Und im Juli konnte Wollschläger die Löhne nicht mehr zahlen. In diesem Monat versuchte Frank, einen Investor für sein inzwischen 140 Millionen Euro schweres Vertriebsgeschäft zu finden. Er scheiterte.

Heiß und trocken war es auch, als Carsten und Frank am Montag, den 1. August 2016, beim zuständigen Amtsgericht in Bochum die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragten. Das Gericht bestellte Rechtsanwalt Dr. Dirk Andres von der Kanzlei Andres Partner zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Der Verwalter sicherte den Beschäftigten zwei weitere Monatslöhne zu.

Die Insolvenz ist in vielen Fällen nicht das Ende eines Unternehmens, sondern nur ein Mittel, um es vor seinen Gläubigern zu schützen. In diesem Sinne entwarfen Andres und das Ehepaar Wollschläger einen Plan zur Rettung des Konzerns. Nach der Bekanntgabe machten der Vater, der Sohn und der Insolvenzverwalter ein ausgefallenes Foto. Sie hielten das Firmenlogo in die pralle Sonne vor dem Hauptgebäude. Andres trug eine Krawatte. Vater und Sohn Wollschläger nicht.

Carsten erklärte, dass sie „… die Chance nutzen wollten, unser Handelsgeschäft möglichst reibungslos mit den Instrumenten der Insolvenzordnung fortzuführen sowie unsere Finanzierungs- und Bilanzstruktur neu zu ordnen.“ Die Sanierung der Wollschläger-Bilanz ist eine größere Herausforderung als das Schlagen von Rohwolle.

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Der August 2016 sollte der brutalste Sommer im ganzen Leben von Frank Wollschläger werden. Laut § 43 des deutschen GmbH-Gesetzes müssen Geschäftsführer ihre Rolle wie ein „ordentlicher Kaufmann“ ausüben. Darüber hinaus dürfen sie wichtige Informationen nicht an Konkurrenten weitergeben.

Was würden Sie tun, wenn das Gesetz Sie zu umsichtigem Handeln verpflichtet und Sie nur noch ein paar Wochen Zeit haben, um Ihr Unternehmen vor der Liquidation zu retten?

Frank Wollschläger, sein Sohn und Andres beauftragten die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG. KPMG musste einen Investor finden, der bereit war, Wollschläger zu übernehmen oder zu retten. In Deutschland gab es nicht viele Investoren, die ein Unternehmen der Größe von Wollschläger übernehmen wollten. KPMG musste sich im Ausland umsehen.

Doch nach einem Monat voller hektischer Anrufe, Treffen und Gespräche schien das fast 80 Jahre alte Unternehmen im September 2016 gerettet zu sein. Der vorläufige Insolvenzverwalter Andres hatte einen Investor für den Bochumer Händler gefunden: das börsennotierte dänische Handelsunternehmen Sanistål aus Aalborg. Für 131 Mitarbeiter kam der Deal zu spät: Sie wollten nicht übernommen werden und mussten das Unternehmen verlassen. Frank rettete 285 Arbeitsplätze. Zumindest schien es so. Das Geschäft sollte im Oktober abgeschlossen werden.

Ob der Investor das Wollschläger Unternehmen vorerst retten kann, erfahren Sie im vierten und letzten Teil der Wollschläger-Serie.
 

ICH MÖCHTE PREDICTIVE ANALYTICS FÜR DEN B2B-VERTRIEB
 

Literaturnachweis:

Simone Podieh: Alles für den Kunden

Alexandra Rüsche: Siegfried Hakelberg neuer Vertriebsleiter bei Mercateo

Martin Wocher: Das Ende einer Bochumer Traditionsfirma

Dirk Andres: In welchen Branchen die nächsten Pleiten drohen

Thomas Schmitt: Dänisches Handelshaus übernimmt Wollschläger in Bochum

WollschlaegerGroup: Erfolgsgeschichte Wollschläger

Andrea Schröder: Wollschläger: Investor zieht Kaufangebot zurück – 420 Mitarbeitern wird gekündigt

Industry Arena: Neue Metav hat überzeugt

Derwesten: Wollschläger-Gruppe aus Bochum hat Insolvenz angemeldet