Ist Deutschland zu skeptisch für Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt?
Es besteht das Vorurteil, dass die Arbeitswelt in Deutschland einer Zukunft mit Künstlicher Intelligenz hauptsächlich mit Angst und Skepsis begegnet. Ist das wirklich ein Vorurteil oder eine Tatsache?
Kennen Sie den Begriff „German Angst“? Er umschreibt, dass sich die Deutschen sehr zurückhaltend und skeptisch gegenüber Veränderungen zeigen. Unser Agieren sei häufig von Bedenken geprägt und, da der Begriff international verwendet wird, bedeutet das, dass diese „Angst vor Veränderungen“ in unserem Völkchen deutlich ausgeprägter wahrgenommen wird als in anderen Nationen.
Auch in Fachdiskussionen über die Entwicklung und Verwendung von künstlicher Intelligenz (KI) in der Arbeitswelt fällt der Begriff „German Angst“ immer wieder.
Es besteht das Vorurteil, dass Deutschland einer Zukunft mit KI hauptsächlich mit Angst und Skepsis begegnet. KI-Visionäre und Startups blicken sehnsüchtig über den Ozean in Richtung USA, denn deren Einstellungen erscheinen liberaler, innovationsfreudiger und nicht zuletzt spendabler.
Also, wie sieht es aus? Wird der Begriff „German Angst“ in Bezug auf künstliche Intelligenz zu Recht verwendet?
German Angst und KI: Angst vor was genau?
Was beinhaltet die „German Angst“ in Bezug auf KI?
Die Bedenken gegenüber KI-Anwendungen sind vielfältig. An dieser Stelle lassen wir dystopische Szenarien, wie die Übernahme der Weltherrschaft von Maschinen außer Acht. Jeder, der sich ein bisschen mit KI beschäftigt, weiß dass solche Zukunftsvisionen bei den heute existierenden KI-Anwendungen nicht realistisch sind und eindeutig in den Bereich Science Fiction fallen. Doch es gibt durchaus Befürchtungen, die wir ernst nehmen: Angst vor dem Wegfall von Arbeitsplätzen, Angst vor Datenmissbräuchen, Angst vor starker Arbeitsüberwachung und generell mangelndes Vertrauen in solche Programme.
Zu allen diesen Punkten gibt es bereits ausführliche Fachdiskussionen (besonders im Bereich „KI und Ethik“), Studien und auch Regelungen, die diese Ängste adressieren. Auch wir haben z.B. einige Beiträge über die Angst vor dem Wegfall von Arbeitsplätzen durch KI geschrieben. Denn die Vorteile von KI in der Arbeitswelt sind unbestreitbar und es liegt im Interesse des industriellen Fortschritts eine Nutzung von KI-Anwendungen auf sichere Art und Weise zu ermöglichen.
Eine solch „mächtige“ Technologie bringt immer berechtigte Bedenken mit sich, die gehört und diskutiert werden sollten. Doch nur in Deutschland? Gilt das nicht für alle anderen Länder auch?
„German Angst“ – Vorurteil oder Tatsache?
In diesem Artikel soll es nicht primär um die Chancen und möglichen Gefahren von KI gehen. Sondern um die Frage, ob Deutschland wirklich „mehr“ Angst hat als andere Länder.
Bei der „German Angst“ geht es hauptsächlich um die Stimmung in der Bevölkerung in Bezug auf Veränderungen – in diesem Fall – durch die Nutzung und Entwicklung von KI.
Und Fakt ist, es gibt keine Empirie, die eine erhöhte „Angst vor KI in Deutschland“ gegenüber anderen Staaten beweist! Eher im Gegenteil. Wir stechen insgesamt gesehen nicht besonders hervor – ich würde sagen, wir sind im „soliden Mittelfeld“.
Der „Trust in Artificial Intelligence Report 2021“ von KPMG untersucht das Vertrauen und die Erwartungen in Künstliche Intelligenz der Bürger aus den USA, Kanada, Australien, UK und aus Deutschland. Der Report ist unten bei den Literaturangaben verlinkt. Es wurde in vielen verschiedenen Bereichen, in denen KI angewandt wird, nach dem Vertrauen bzw. Misstrauen gefragt. Deutschland sticht in keiner Weise besonders hervor. Tatsächlich unterscheiden sich die Angaben der Länder nur sehr gering voneinander. Im folgenden Bild sehen Sie die erste und generischste Frage der Studie nach dem Vertrauen in KI allgemein.
Auch die Autoren Kai Arne Gondlach und Michaela Regneri schreiben in Ihrem Paper mit dem Titel „Das Gespenst der German Angst“ Folgendes:
„Auf Massen von verängstigten, technikfeindlichen Erwachsenen trifft man oft in Filmen, aber nicht in der gesellschaftlichen Realität.
Bestätigt wurde das in einer Studie des IT-Dienstleisters Adesso SE (Adesso, 2020). Drei Viertel der Befragten hatten ausdrücklich keine Angst vor KI und blicken sorgenfrei auf die technologische Zukunft.“
Das heißt, es gibt sowohl misstrauische und skeptische Menschen als auch solche, die an diese Technologie glauben. In Deutschland genauso wie in anderen Ländern. So viel zu der „Stimmung in der Bevölkerung“.
Wie schlägt sich Deutschland in der Nutzung von und Investitionen in KI?
Die „German Angst vor KI“ hat sich also nicht bewahrheitet. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass Deutschland im tatsächlichen „Doing“ keine Spitzenposition innehält. Im internationalen Vergleich von Investments in Startups im Bereich Künstliche Intelligenz liegen wir weit zurück, wie das Schaubild von Statista aus dem Jahr 2021 zeigt.
Auch bei KI-Unternehmen dominieren die USA. Von international insgesamt 4.998 gemeldeten Unternehmen, die KI in ihr Geschäftsmodell integriert haben, sind 40 % US-amerikanische Firmen, mit steigender Tendenz. Das Gleiche gilt für KI-Start-ups. Hier ist die USA mit 1.393 ebenfalls führend (40 % aller weltweiten KI-Start-ups).
Und dieser Situation ist sich Deutschland durchaus bewusst. Wir wissen, dass KI eine zukunftsträchtige Technologie ist. Und wir wissen auch, dass wir im internationalen Vergleich Aufholpotenzial haben. Eine Bitkom Studie zeigt, dass bisher nur 8% der Unternehmen in Deutschland tatsächlich KI-Anwendungen im Arbeitsalltag nutzen. Allerdings will jedes 4. Unternehmen in KI investieren.
Deutschland, warum so zögerlich?
In diesem Abschnitt kann ich nur spekulieren. Wahrscheinlich spielen hier viele verschiedene Faktoren eine Rolle.
Wie die oben genannten Meinungsumfragen zeigen, besteht keine „German Angst vor KI“. Allerdings könnte, laut Ulrich Kerzel (2021, Studienautor an der IUBH Erfurt) „der Mythos der German Angst“ eine Art „Angst vor der Angst“ in Deutschland hervorrufen:
„Die Angst vor AI wird in Deutschland gefährlich überschätzt. Wenn die Führungskräfte annehmen, dass die Mitarbeitenden AI skeptisch gegenüberstehen, erschwert das die Entscheidung für künstliche Intelligenz. So wird die Angst vor der Angst zum Bremsklotz – und
führt dazu, dass Unternehmen das enorme Potenzial von AI nicht nutzen.“
Was meinen Sie, könnte das mit ein Grund für die Zögerlichkeit in Deutschland sein? Ich weiß es nicht. Allerdings bin ich mir sicher, dass es nicht der einzige Grund ist. Das zeigt auch eine Bitkom Umfrage aus 2021. Hier geben Unternehmen sehr pragmatische Gründe für das „nicht-beschäftigen“ mit KI an:
Es fehlt an Personal (49%), es fehlt an Zeit (47%) und es fehlt an Geld (46%). Achja, wem fehlt das alles nicht?
Außerdem wollen 44% der Unternehmen erstmal abwarten, wie sich denn andere Unternehmen mit dieser KI so (rum)schlagen. Ich gebe es zu, das wurde in der Studie seriöser formuliert: „44 Prozent wollen zunächst einmal abwarten, wo sich in anderen Unternehmen der KI-Einsatz als sinnvoll erweist.“
Erstaunlich ist, dass der Einsatz von KI nur sehr selten, an einem fehlendem Use Case im Unternehmen (17%) scheitert. Und dieser Grund ist für mich persönlich der einzig verständliche.
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Ist Deutschland zu skeptisch für Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt? – Fazit
In Meinungsumfragen zu künstlicher Intelligenz sehen deutsche Unternehmen enormes Potenzial. Auch die deutsche Bevölkerung ist nicht „zu skeptisch“ und wir haben keine überproportional große Angst vor KI im Vergleich zu anderen Ländern.
Im tatsächlichen Umsetzen von KI in der deutschen Arbeitswelt spiegelt sich das allerdings nicht wider.
Deutschland redet über die Innovationskraft und Wichtigkeit von KI und plant eine zukünftige Spitzenposition in diesem Bereich. Pläne über Pläne. Doch wie sagte John Lennon so schön? „Das Leben ist das was passiert, während Du eifrig Pläne schmiedest“.
Also, mein Appell an die Unternehmen und Investoren von Deutschland: Haben Sie einen Case für künstliche Intelligenz gefunden und gut durchdacht? Dann plant es nicht noch ein weiteres Jahr – go for it! Irgendwann und irgendwo muss der Anfang gemacht werden. Und dann wird Großartiges passieren.
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Literaturnachweis:
Inka Knappertsbusch & Kai Gondlach (2021): Arbeitswelt und KI 2030. Hg.: Springer Link.
Kratochwill, L. et. al. (2020): Globale Trends der künstlichen Intelligenz und deren Implikationen, Hg: Deutsche Energie-Agentur GmbH, S.40.
Bitkom (2021): Künstliche Intelligenz kommt in Unternehmen allmählich voran.
KPMG (2021): Trust in Artificial Intelligence: A five country study.
Focus Online (2017): Was bedeutet der Ausdruck „German Angst“?
Speck, A. (2020): KI zwischen Zuspruch und Skepsis. Hg.: Springer Professional